Produktivitätsfaktor Betriebliche Gesundheit

Buchumschlag

Das vorliegende Buch unterscheidet sich wohltuend von der üblichen "Ratgeberliteratur". Die Autoren betten vor dem Hintergrund ihrer jahrelangen Praxiserfahrungen die Ambivalenzen der neuen Managementstrategien wie das Phänomen der "kontrollierten Autonomie" ein in den Diskurs über die Eigenheiten moderner Arbeit. Teilweise nicht einfach zu lesen, trotzdem sehr empfehlenswert!

Beschreibung

Es mangelt heute im Vergleich zu den 90er Jahren nicht an Literatur zur betrieblichen Gesundheitsförderung, die in erster Linie als "Ratgeberliteratur" daher kommt. Solche Ratgeber haben ihren eigenen Wert, vor allem in der betrieblichen Praxis, aber sie tragen wenig zur konzeptionellen Weiterentwicklung der betrieblichen Gesundheitsförderung bei. In dem Buch von Westermayer und Stein erfährt man zwar auch, welche Instrumente in der betrieblichen Gesundheitsförderung mit Erfolg eingesetzt werden und welche Strategien des Projektmanagements sich bewährt haben, aber das Buch bettet diese praxisbezogenen Informationen ein in ein Bild der komplexen Situation betrieblicher und gesellschaftlicher Arbeitsverhältnisse und es referiert dazu auch den nötigen wissenschaftlichen Hintergrund. Dadurch entgeht es der Gefahr, die betriebliche Gesundheitsförderung zu mechanistisch als Anwendung von "Rezepten" erscheinen zu lassen, die zu jedem Problem schon eine einfache Lösung mitbringt. Die Autoren profitieren dabei sowohl von ihrer langjährigen Praxis in der Beratung von Betrieben als auch von ihren vielfältigen Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen.
Das Buch beginnt mit einem Kapitel zur Problematik neuer Managementstrategien und des Phänomens der "kontrollierten Autonomie", also der Gewährung systemfunktionaler Handlungsspielräume. Dieses Aufgreifen des soziologischen Diskussionsstandes über die Eigenheiten moderner Arbeit ist wichtig, weil lange Zeit in der Literatur zur betrieblichen Gesundheitsförderung Handlungsspielräume als Inbegriff gesundheitsförderlicher Arbeit galten, ohne die damit verbundenen Ambivalenzen zu sehen. Diese werden hier ausführlich referiert wie z.B. die „Entgrenzung der Arbeit“ und das Phänomen der vielfach erlebten „Leistungsverdichtung“, die Betroffene zunehmend zwingt, aktiv eigene Strukturen und damit Neubegrenzungen für ihr Arbeitshandeln zu entwickeln. Die Betriebe ziehen sich dabei auf die Devise zurück: "Wie die Arbeit im Detail organisiert wird ist egal - Hauptsache das Ergebnis stimmt!" Die Autoren nähern sich dem Phänomen der „kontrollierten Autonomie über einen theoretischen Ausflug hin zur Psychoanalyse und illustrieren dies anschaulich mit der Schilderung eines Fallbeispiels anhand der Geschichte eines Meisters aus der industriellen Produktion. Sie zeigen insbesondere, dass als Folge vermittelter und indirekter Kontrollformen schwer definierbare Gesundheitsbeeinträchtigungen entstehen, die einerseits kaum noch direkt mit den konkreten Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht werden können und andererseits über eine „Standardanalyse“ von Belastungen nicht zu erfassen sind. Die Autoren konstatieren einen allgemeinen Trend zur Instrumentalisierung der menschlichen Beziehungen, der neuartige Belastungen schafft und nur über eine qualitative Organisationsdiagnostik, in der Rekonstruktion des „Verhalten der Verhältnisse“, zu erfassen ist.
Anschließend gehen die Autoren auf Organisationstheorien ein und stellen dazu verschiedene Ansätze und ihre Geschichte vor. Das Kapitel macht deutlich, dass Organisationen komplexe soziale Gebilde sind, denen auch die Interventionen der betrieblichen Gesundheitsförderung Rechnung zu tragen haben. Darauf bauen die folgenden Kapitel auf, die das Instrumentarium der betrieblichen Gesundheitsförderung darstellen. Den Abschluss des Buches bilden ein Kapitel, das sich mit Fragen des Unternehmenswertes und des Shareholder-Value-Konzepts auseinandersetzt sowie ein Kapitel zur Evaluation in der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Das Buch ist stellenweise recht theoretisch und somit wohl in erster Linie geeignet für Wissenschaftler, die sich mit dem Thema „Arbeit und Gesundheit“ beschäftigen sowie für konzeptionell interessierte Fachleute aus dem Arbeitsschutz und aus den Sozialversicherungen. Aber auch Führungskräfte, Betriebs- und Personalräte, die über das bloße „Know How“ der betrieblichen Gesundheitsförderung hinaus mehr über dieses Thema wissen wollen, sollten sich von den theoretischen Ansprüchen des Buches nicht abschrecken lassen. Es ist eines der besten Bücher zur betrieblichen Gesundheitsförderung, die derzeit auf dem Markt sind. Ingesamt eine lohnende und empfehlenswerte Lektüre.

Autor

Gerhard Westermayer, Bertolt A. Stein

Verlag

Hogrefe-Verlag, Göttingen

Version

2006

Preis

29,95

ISBN

3-8017-1766-6